Solidarische Bürgerversicherung kontra schwarzgelbe Kopfpauschale – wie krank ist die Gesundheitspolitik?

Veröffentlicht am 18.02.2011 in Arbeitsgemeinschaften

Lothar Binding (MdB) und Antje Hill im Gespräch mit Seniorinnen und Senioren der AG 60 Plus

In der Gesundheitsversorgung wird viel Geld bewegt - insgesamt mehr als 260 Mrd. Euro! Davon in der gesetzlichen Krankenversicherung 160 Mrd. Euro, in den privaten gut 20 Mrd. Euro und außerhalb der Krankenversicherungen ca. 80 Milliarden Euro im Jahr. Im Vergleich dazu, für die gesetzlichen Renten werden 240 Mrd. benötigt.

In der Gesundheit galt bisher der Grundsatz, die Kosten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern hälftig aufzuteilen. Unternehmer, Selbstständige und wer immer mit seinem Einkommen über der derzeitigen Versicherungspflichtgrenze (4.125 Euro) liegt kann sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden und zahlt in einen Extra –Topf: eine der „Privaten Krankenkassen“.

Die gesetzlichen Krankenkassen mussten schon immer alle Bürgerinnen und Bürgeraufnehmen, egal wie alt oder schwer krank jemand war. Das nennt man „Kontrahierungszwang“ (Abschlusszwang). Die Privaten Krankenkassen halten Auslese: Möglichst viele Junge, möglichst niemanden mit schwerem chronischen Leiden. Man spricht von guten und schlechten Risiken. Die Krankenkassen konkurrierten über die Höhe des Beitragssatzes um neue und „bessere“ Mitglieder, wobei der Antragsteller nur selten die sehr verschiedenen Leistungen der einzelnen Kassen überschauen kann.
Um zu erreichen, dass nicht mehr über niedrigere Beiträge, sondern über bessere Leistungen konkurriert wird, und um für die Kassen die unterschiedlichen Risiken auszugleichen, hat Ulla Schmidt als SPD–Gesundheitsministerin den Gesundheitsfond eingeführt. Ein schwieriger Kompromiss, denn CDU und FDP wollen noch immer die Kopfpauschale, die SPD aber die Bürgerversicherung. Der Kompromiss erlaubt eine Entwicklung in beide Richtungen. Es gibt also einen großen Geldtopf, in den die Beiträge für alle gesetzlichen Krankenkassen fließen, die sie von den Versicherten erhalten – leider, wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag bzw. im Bundesrat, unter Ausschluss der Privaten.

Der Beitragssatz ist für alle gesetzlichen Krankenkassen gleich und wird von der Bundesregierung festgelegt. Die Patienten gehen zum Arzt und werden behandelt – abgesehen von den 10 Euro Praxisgebühr, auch eine Idee der CDU, die SPD wollte den Hausarzt als Lotsen, hat der Patient nichts mit Geld zu tun, denn es gilt das Sachleistungssystem.

Das alles gilt aber nicht für die privaten Krankenkassen, die wegen des Widerstands der CDU in der „Großen Koalition“ und der Klientel-Partei FDP von den Veränderungen völlig unberührt bleiben.

Genau an diesem Punkt setzt das Konzept Bürgerversicherung an, die von der SPD seit langem gefordert wird. Das wichtigste ist: Alle gesellschaftlichen Gruppen, also wirklich alle Bürgerinnen und Bürger werden in die Bürgerversicherung einzahlen und das Risiko wird solidarisch von allen getragen. Zusätzlich werden durch einen Steueranteil in der Bürgerversicherung alle arbeitsunabhängigen Einkommensarten herangezogen, also auch z. B. Einnahmen aus Mieten, Zinsen, Dividenden, Lizenzen, Tantiemen u. ä. Leider kann aus verfassungsrechtlichen Gründen (Äquivalenzprinzip) die Beitragsbemessungsgrenze nicht abgeschafft werden – aber wenigstens würde sie deutlich angehoben. Die dann auch aus dieser im Vergleich zu heute viel größeren Gruppe der Versicherten erhalten damit natürlich auch einen Anspruch auf medizinische Versorgung, das bedeutet, die Gesundheitskosten können durch dieses System nicht reduziert werden, aber das Risiko wird auf wesentlich mehr Schultern verteilt.

Wer sich über das solidarische Krankenkassensystem hinaus noch privat versichern will, kann das natürlich wie bisher freiwillig zusätzlich tun.
Nun sagen aber CDU und FDP – gerecht sei, wenn alle den gleichen Betrag pro Kopf bezahlen, d. h. alle z. B. 100.-- € im Monat, also der Millionär 100.-- € und der die alleinerziehende Krankenschwester 100. -- €. Das ist die viel beschworene Kopfpauschale: „Alle zahlen für die gleiche Gesundheit das gleiche Geld“, eben pro Kopf eine Kopfpauschale.

Sozialdemokraten lehnen dieses ungerechte System entschieden ab, obwohl es vielleicht zunächst gut klingt. Der Einstieg in die Kopfpauschale unter schwarz-gelb hat jedenfalls mit einer zunächst maximalen Kopfpauschale von 37 Euro, das ist ein Prozent aus der Beitragsbemessungsgrundlage schon begonnen. Der Anfang einer Beitragsspirale ist gemacht.
Ein anderer Plan der Regierung ist es, dass jeder, der vom Arzt oder anderen medizinischen Einrichtungen Leistungen in Anspruch nehmen möchte, zur „Vorkasse“ geben wird. Den gezahlten Betrag muss der Patient sich dann von der Krankenkasse zurückholen bzw. erstatten lassen. Die SPD lehnt auch das klar ab, weil dann viele, besonders weniger verdienende Menschen, sich scheuen, den Arzt überhaupt aufzusuchen, obwohl sie dringend ärztliche Behandlung benötigten.

Ein weiterer Änderungspunkt von Schwarzgelb: Seit Bismarcks Zeiten schon werden die Beiträge an die Krankenkassen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern je zur Hälfte getragen, inzwischen ergänzt durch einen Steuerzuschuss, der wie oben erwähnt von allen Einkommensarten erbracht wird. Unter schwarz-gelb wurde der Anteil der Arbeitgeber unbefristet „eingefroren“, d. h. , wenn die Beiträge künftig erhöht werden– man denke an den medizinischen Fortschritt – dann wird einseitig nur der Anteil der Arbeitnehmer erhöht.

Hier wurde die Parität zerstört, die Solidarität wird zunehmend in Frage gestellt. Danke, Herr Minister Rösler!

Der neue Gesundheitsminister Rösler macht Politik für höchstens 10 Prozent der Versicherten. „Das ist Klientel-Politik vom feinsten“, schließt Lothar Binding seine Ausführungen.

Hermann Baethge

 

Homepage SPD Enzkreis/Pforzheim

Unsere Frau in Berlin: Katja Mast

Wir bei Facebook

Aufrufe

Besucher:3
Heute:94
Online:2