Fairness auf dem Arbeitsmarkt – vor welchen Herausforderungen stehen wir?

Veröffentlicht am 19.12.2010 in Politik

SPD Bundestagsabgeordnete aus Baden–Württemberg mit Nikolaus Landgraf, DGB–Vorsitzender Baden–Württemberg hatten zu einer Betriebs–und Personalrätekonferenz in Pforzheim aufgerufen.

Katja Mast MdB (schriftlicher Beitrag):

In der Finanz– und Wirtschaftskrise haben sich Betriebs– und Personalräte als Krisenmanager profiliert und eine zentrale Rolle bei der Rettung von Arbeitsplätzen eingenommen. Die Mitbestimmung hat sich in Baden-Württemberg als Standortfaktor bewährt.

Fairness auf dem Arbeitsmarkt – vor welchen Herausforderungen stehen wir?

Fairness auf dem Arbeitsmarkt, das gilt als wichtig in Krisenzeiten ebenso wie in Zeiten mit wirtschaftlichem Wachstum. Auch in den nächsten Jahren sind echte Perspektiven und Chancen auf dem Arbeitsmarkt wichtiger denn je, denn immer mehr Beschäftigte werden befristet eingestellt, bekommen Teilzeitstellen oder arbeiten als Leiharbeitskräfte. So kommt der beginnende Aufschwung, den wir mit Freuden begrüßen, bei vielen von denen an, die in ihrer überwiegenden Mehrheit die negativen Auswirkungen (Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit) der Krise tragen mussten und jetzt nicht in Vollarbeitsplätze mit Tariflohn und allen Arbeitnehmerechten zurückkehren können. Die Angst vor einer unsicheren Zukunft verhindert, dass Beschäftigte für Ihre Interessen im Arbeits– und Gesundheitsschutz oder für eine angemessene Vergütung eintreten.

Deshalb kämpfen wir in der SPD–Bundestagsfraktion für Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen gesetzliche Mindestlöhne und das Arbeitnehmer–Entsendegesetz auf alle Branchen ausdehnen. Wir fordern die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung bei Arbeitsverhältnissen sowie faire Regelungen für den Berufseinstieg junger Menschen. Unbefristete Vollzeitstellen zu ordentlichen Löhnen – das muss wieder der Normalfall werden!

Diese Trends prägen auch die Arbeit bei Betriebs- und Personalräten nachhaltig und werden uns künftig vor neue Herausforderungen stellen. Wichtig ist uns Sozialdemokraten, mit Ihnen/Euch zusammen heute und in Zukunft Arbeit fair zu gestalten! Dazu brauchen wir verlässliche Arbeitnehmerrechte.“

Martin Kunzmann
(1. Bevollmächtigter IG Metall Pforzheim und SPD-Landtagskandidat):

Die Stimmung der Beschäftigten hat sich gebessert, der jetzt erfolgte Aufschwung hat vielfach Erleichterung gebracht. Aber die Beschäftigten haben in einen Abgrund geschaut. Jetzt aber ist die Kurzarbeit auf Null zurückgegangen.
Wie geht es weiter? Bei einem großen Zulieferer der Automobilindustrie in unserer Region entstanden durch vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit Lohnverluste. In der Region wurde im Ganzen die Krise gut verkraftet durch die von der Großen Koalition erweiterte Kurzarbeitsregelung und durch die Abwrackprämie. Die relativ hohe Arbeitslosigkeit in Pforzheim wurde durch eine günstigere Situation im Enzkreis statistisch ausgeglichen. In der Region mussten 12 Betriebe aufgeben, 3000 Arbeitsplätze gingen ganz verloren. Aber nach dem Empfinden der Arbeitnehmer blieb dabei die Gerechtigkeit auf der Strecke. Warum ? Die eigentlichen Verursacher der Krise, die Banken, wurden „nicht zur Rechenschaft gezogen“! Als Konsequenz aus der Krise sollten die Finanzmärkte reguliert werden. Davon sind wir nach wie vor weit entfernt. Man beachte jetzt auch das Desaster in Irland. Die Rente mit 67 und die Leiharbeit sind nach wie vor ein Riesenproblem. Die Arbeitslosigkeit hat sich insgesamt zwar verringert, aber von den Jugendlichen landen viele nach erfolgreicher Beendigung ihrer Ausbildung in der Arbeitslosigkeit. Man stelle sich das vor: Ausbildung abgeschlossen – arbeitslos! Mindestens so schlimm ist, dass 50 % der frisch ausgebildeten in Leiharbeit landen. Das bedeutet einen Stundenlohn von 6,50 € bis 8,50 € je Stunde. Als Leiharbeiter kann niemand eine Familie gründen. Manche Arbeitgeber sprechen davon, 30 % Leiharbeit seien wünschenswert. Wir sagen dazu „Nein! - der Leiharbeit Schranken einziehen!“ Es gilt immer noch: Gleiche Arbeit, gleiches Geld: Deswegen müssen gesetzliche Mindestlöhne her und nicht 6,50 € je Std.

Die Wirtschaft beklagt einen Mangel an Fachkräften, aber nur 30 % der Betriebe haben in der Vergangenheit ausgebildet. In Pforzheim gibt es den landesweit höchsten Anteil der Arbeitssuchenden ohne Hauptschulabschluss, Das sind die Hartz-IV–Empfänger von morgen.

Wir sagen Nein zur Gesundheitsreform! Einseitig höhere Beiträge der Arbeitnehmer zur Krankenversicherung gehen nicht, erst recht nicht, wenn der Stundenlohn bei 6, 50 €/Std. liegt. Zur Rente mit 67: Die Beschäftigung derer über 50 hat etwas zugenommen, aber nur 5 % der über Sechzigjährigen haben einen festen Arbeitsplatz, sagt Martin Kunzmann. So kann man sagen, die positive wirtschaftliche Entwicklung ist zwar bei den Arbeitnehmern angekommen, nur die große Frage ist: Wie? Die Arbeitnehmer bringen allein die Opfer!

Nikolaus Landgraf (Landesvorsitzender des DGB in Baden–Württemberg):

Ein Viertel derer, die ihren Job auf dem ersten Arbeitsmarkt verloren haben, landen direkt bei Hartz-IV. „Die Arbeitsmarktreformen der Regierungszeit Schröders, also zum Beispiel die gesetzlichen Regelungen zur Leiharbeit oder befristeten Beschäftigungsverhältnissen haben nichts gebracht.“ Diesen Satz unterstreicht Nikolaus Landgraf nachdrücklich. Im Gegenteil förderte Hartz-IV die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Wir, der DGB, fordern die Einführung eines Überbrückungsgeldes, das gezahlt wird, wenn das Arbeitslosengeld fristgemäß auslaufen sollte. Es gibt in einigen Industrie– oder Gewerbezweigen branchenspezifische Mindestlöhne. Wir brauchen aber einen gesetzlichen Mindestlohn, der für alle gilt, vor allem, wenn Tarifverträge nicht existieren sollten.

Während der Krise ist der Anteil der Mindestlöhner um 50 % gestiegen. 20 % der 27 EU–Staaten haben Mindestlöhne gesetzlich eingeführt. Mehr als 7 Mio. Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten in 400 €–Arbeitsverhältnissen. Hinzu kommt: Selbst der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dass 1-Euro–Jobs häufig missbraucht werden. Auf jeden Fall haben 1-Euro-Jobs normale Arbeitsverhältnisse verdrängt. Landgraf fordert, 1-Euro-Jobs ganz abzuschaffen und andere Förderungsmöglichkeiten zu organisieren. Steuer– und Sozialversicherungspflicht bei Minijobs ab 100 €, fordert Landgraf.

Die Rente mit 67 war falsch und ist weiter falsch, solange in den Altersklassen 63 bis 65 Jahre nur so wenige noch Arbeitsplätze haben. Zur Rente mit 67 hat die SPD in jüngster Zeit einen „Sprung nach vorn gemacht“, stellt der DGB Landesvorsitzende fest. „das wird anerkannt, aber es ist zu wenig.“ Die entscheidende Frage ist, haben wir Beschäftigungsmöglichkeiten für die 65 -- bis 67 – jährigen? Wenn nicht, läuft das ganze auf eine allgemeine Rentenkürzung hinaus.

Wenn ein Arbeitnehmer 2 bis 3 Jobs braucht, weil er sonst nicht klarkommt. Wenn das keine Einzelfälle sind, fällt es schwer, an ein „Jobwunder“ zu glauben. Wir brauchen einen Kurswechsel in der Politik, schließt Nikolaus Landgraf seine Ausführungen.

In der anschließenden Diskussion ging es immer wieder um Niedriglohn, Minijobs, Leiharbeit, und das Verhältnis SPD – Gewerkschaften. "Es ist unanständig, wenn Leute für 3,50 € / Std. schaffen. So wird sogar der Acht–Stunden-Tag durch die Hintertür abgeschafft. Es ist völlig unzumutbar, wenn Minijobber rund um die Uhr zu Hause sitzen und warten, dass sie mal einer anruft. Bei Leiharbeit hat die SPD einen Fehler gemacht. Die SPD hat es zeitweilig den Gewerkschaften sehr schwer gemacht. Das Verhältnis zur SPD muss völlig neu aufgebaut werden, Reparieren ist zu wenig", bemerkt ein Zwischenrufer.

Wir müssen wieder Vertrauen zwischen SPD und Gewerkschaften schaffen. Und dann versöhnlich: Das ist längst im Gange, indem die SPD ihr soziales Profil wieder schärft. Sie beginnt wieder die Speerspitze des sozialen Fortschritts zu werden.

 

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